Die Projekt-Charter – Zwischen Gongschlag und Gänsehaut
Bevor in der Oper der Vorhang knarzt, bevor der erste Takt erklingt oder ein Tenor über seine große Liebe jammert, passiert etwas Magisches: die Ouvertüre. Sie ist nicht nur musikalisches Vorgeplänkel – sie ist Versprechen, Drohung und Verheißung in einem. Und genau das ist auch die Projekt-Charter. Wer glaubt, man könne einfach mal „loslegen“ und schauen, wo die Reise hingeht, wird früher oder später feststellen: Auch Improvisation braucht ein Drehbuch. Oder zumindest eine grobe Idee, wohin die Reise geht – und wer den Bus fährt.
Die Vision – oder: Ohne Libretto kein Drama
Kein Mensch inszeniert Verdis Aida, indem er einfach mal die Pyramiden aufbaut und hofft, dass jemand reinsingt. Da braucht es schon ein bisschen mehr: eine Idee, ein Ziel, einen Funken, der das Ensemble entfacht. Im Projekt wie auf der Bühne gilt: Wer führen will, muss wissen, wohin die Reise geht – und warum.
Eine starke Vision ist wie die Exposition in der Dramaturgie einer Oper: Sie gibt Richtung und Thema vor, ohne das Ende zu verraten. Sie inspiriert, elektrisiert und hält das Ensemble zusammen, wenn es in der dritten Probe zum siebten Mal kracht. Denn wer weiß, dass er an einer Weltpremiere arbeitet, schluckt auch mal den ein oder anderen Takt zu viel Piccoloflöte.
Die Projekt-Charter – die Ouvertüre des Wahnsinns
Treten wir also auf die große Bühne des Projektmanagements. Im Rampenlicht: die Projekt-Charter. Sie ist unser Auftakt, unser Gongschlag, unser „Es geht los, Leute!“ – aber mit Stil.
In der Charter wird festgehalten, worum es überhaupt geht. Wer mitspielt. Welche Bühne bespielt wird. Und vor allem: Wann der Vorhang fallen soll. Sie klärt, wer das Dirigentenpult besetzt, woher das Orchester sein Budget bekommt und was am Ende als Bravo-taugliche Leistung gefeiert werden soll.
Was gehört hinein? Der Kanon der Klarheit:
- Projektziele – Was wollen wir überhaupt auf die Bühne bringen?
- Stakeholder & Beteiligte – Wer mischt mit, wer gibt Applaus, wer wirft Rosen (oder Tomaten)?
- Umfang & Abgrenzung – Was gehört zur Inszenierung, was ist nur Bühnennebel?
- Ressourcen & Budget – Wer zahlt die Gagen? Und reicht’s noch für den Chor?
- Erfolgskriterien – Woran merken wir, dass das Publikum Standing Ovations gibt – und nicht nur höflich hustet?
Große Oper fängt mit großen Tönen an
Manche Opern werfen schon im ersten Takt alles auf die Bühne, was sie haben. Nehmen wir Wagners Rheingold: ein einziger, ewiger Es-Dur-Akkord, der wie eine Urkraft aus den Tiefen brodelt – der musikalische Urknall eines Vierteilers über Macht, Gier und das unausweichliche Schicksal. Wagner wusste: Die Ouvertüre muss sitzen, sonst wird das nichts mit dem Weltuntergang.
Oder Carmen: In den ersten Minuten tanzt das Chaos über den Marktplatz von Sevilla, begleitet von Kastagnetten und Schicksalsmelodien. Jeder weiß sofort: Hier wird es heiß. Und gefährlich. Bizet macht keinen Hehl daraus, worauf wir uns einlassen. Warum? Weil er eine Vision hatte.
Selbst Verdis Macbeth zeigt gleich zu Beginn, wo der Frosch die Locken hat: düstere Prophezeiungen, wabernde Nebel, Hexengeflüster – die perfekte Einstimmung auf einen ambitionierten Sturz ins Verderben. Ganz ehrlich: Wer nach so einer Ouvertüre noch glaubt, es würde ein Happy End geben, hat entweder das Libretto nicht gelesen oder das Genre verfehlt.
Die Charter – kein Notenblatt für Details, aber eine Partitur fürs Ganze
Die Projekt-Charter ist keine Partitur im Sinne von „Takt für Takt“. Sie ist mehr so etwas wie der große Bogen, die Grundtonart, die emotionale Farbe. Sie gibt vor, ob wir in Moll oder Dur marschieren, ob es eine Kammeroper oder ein Stadionkonzert wird. Feinplanung? Die kommt später.
Wie in der Oper: Erst steht der Rahmen – dann kommen die Proben. Erst wenn das Orchester weiß, was gespielt wird, kann der Dirigent feilen, die Regie inszenieren und der Bariton entscheiden, ob er den Dolch nun von rechts oder von links zieht. Ohne diesen Rahmen jedoch ist jede Probe ein Ratespiel.
Fazit: Kein Auftakt ohne Applaus
Ob Bühne oder Büro – wer das Publikum fesseln will, muss am Anfang klotzen, nicht kleckern. Eine gute Projekt-Charter ist kein bürokratischer Papiertiger, sondern der erste dramatische Paukenschlag auf dem Weg zur Premiere. Sie ist der rote Teppich für das, was kommt. Und wenn sie gut gemacht ist, dann hört man nach dem letzten Satz nicht nur: „Projekt erfolgreich abgeschlossen“ – sondern: „Vorhang auf fürs nächste Meisterwerk!“