In der Oper zählt nicht nur, was gespielt wird – sondern wann. Eine noch so brillante Arie verliert ihren Glanz, wenn das Orchester zu früh einsetzt. Und wenn die Sängerin ihren Einsatz verpasst, hilft auch kein kostbares Kostüm mehr. Timing ist alles. Wer den Takt nicht hält, verliert das Publikum – und im schlimmsten Fall die Kontrolle über die gesamte Aufführung.
Genauso ist es im Projekt. Aufbauend auf der Work Breakdown Structure braucht es einen durchdachten Zeitplan. Abfolgen, Abhängigkeiten und der berühmte kritische Pfad sind keine akademischen Konzepte, sondern das rhythmische Grundgerüst jeder erfolgreichen Umsetzung. Wer das ignoriert, riskiert mehr als ein paar schräge Töne.
Kein Finale vor dem ersten Akt – Die richtige Abfolge
In der Oper ist die Reihenfolge gesetzt. Niemand käme auf die Idee, das Liebesduett vor dem ersten Auftritt der Protagonisten zu spielen – dramaturgisch wäre das ein Totalausfall. Auch im Projekt gibt es logische Reihenfolgen. Aufgaben bauen aufeinander auf, und wer sie durcheinanderwirbelt, bringt den ganzen Ablauf ins Wanken.
Ein historisches Beispiel für eine verpatzte Reihenfolge ist Wagners Tannhäuser in Paris, 1861. Unter enormem Zeitdruck wurden Probenplanungen über den Haufen geworfen, Abläufe unkoordiniert durchgezogen, die Sänger schlecht vorbereitet auf die Bühne geschickt. Das Ergebnis war ein Fiasko – ein Lehrstück darüber, was passiert, wenn man gegen den natürlichen Ablauf arbeitet.
Und ja, auch im Projektmanagement gilt: Niemand sollte mit dem Bühnenbild beginnen, wenn noch nicht einmal klar ist, ob überhaupt Platz für eine Bühne vorhanden ist.
Abhängigkeiten – Wenn der Einsatz nicht frei steht
In der Musik gibt es Passagen, bei denen ein Instrument erst nach einem anderen einsetzt. Ein kurzes Trompetensignal leitet die große Chorszene ein, nicht umgekehrt. Genauso gibt es im Projekt Aufgaben, die erst starten können, wenn andere abgeschlossen sind. Diese Abhängigkeiten müssen bekannt sein – sonst entsteht Stillstand, wo eigentlich Bewegung sein sollte.
Verdis Aida ist hier ein gutes Beispiel: Die Inszenierung lebt von ihren monumentalen Bühnenbildern. Aber diese mussten rechtzeitig stehen – sonst keine Tempel, keine Pyramiden, keine Atmosphäre. Wären die Kulissen zu spät geliefert worden, hätte die Premiere verschoben werden müssen – mitsamt Orchester, Solisten, Publikum und PR-Kampagne. Ein Albtraum.
In Projekten sieht das nicht viel anders aus: Wenn ein Team auf eine Schnittstelle wartet, die noch gar nicht existiert, dann bringt auch das motivierteste Entwicklerteam keinen Schritt nach vorn. Abhängigkeiten wollen erkannt und geplant sein – am besten, bevor der Vorhang hochgeht.
Der kritische Pfad – Jeder Takt eine Entscheidung
Der kritische Pfad ist das Rückgrat des Projektzeitplans. Er beschreibt die längste Kette an abhängigen Aufgaben – und damit die minimale Zeit, die das Projekt unter idealen Bedingungen dauert. Verzögert sich dort auch nur ein einziger Schritt, rutscht das gesamte Projekt in Verzug.
Man denke an Puccinis Madama Butterfly. Die Uraufführung an der Mailänder Scala sollte ein großer Moment werden – wurde aber zum Desaster. Puccini hatte den Aufwand für letzte Überarbeitungen unterschätzt. Die Proben litten, das Stück war nicht reif für die Bühne, die Premiere geriet aus dem Takt. Mit mehr Zeit – und einem ehrlicheren Blick auf den kritischen Pfad – hätte sich vieles retten lassen.
In Projekten passiert genau das: Wenn Meilensteine zu eng gesetzt werden, Pufferzeiten fehlen und niemand auf den Engpass achtet, dann bricht der Zeitplan schneller zusammen als ein Bühnenbild bei Windböen.
Die Kunst des richtigen Timings
Zeitliche Planung ist keine lästige Pflicht, sondern eine Kunst – wie das Dirigieren eines komplexen Werks. Es geht darum, alle Beteiligten zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Ort zu bringen. Nicht früher. Nicht später. Sondern genau dann, wenn sie gebraucht werden.
Wer das beherrscht, schafft Räume für Kreativität, Konzentration – und für die berühmten Gänsehautmomente, in denen alles zusammenkommt. Wer es nicht tut, läuft Gefahr, dass alle auf ihren Einsatz warten – aber niemand beginnt.
Denn auch in Projekten gilt: Das Publikum verzeiht eine kleine Unsauberkeit. Aber wenn das große Finale ins Stolpern gerät, wird es schwer, nochmal neu anzusetzen.