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Die ISO-zertifizierte Zauberflöte

Standardisierung im Projektmanagement

Willkommen in der glänzenden Welt des vollständig standardisierten Projektmanagements! Keine Überraschungen mehr, keine spontanen Einfälle – nur noch ein wohlgeordnetes Universum aus Prozessen, Vorlagen und ISO-zertifizierten Arien.

Wie das klingt? Stellen wir uns vor, die Opernwelt hätte beschlossen, sich streng an die Prinzipien der Projektstandardisierung zu halten.

Die ‹Zauberflöte› nach Prozesshandbuch

Projektstart für Mozarts Meisterwerk. Doch bevor jemand den ersten Ton singt, wird brav die Projektdokumentation erstellt.

  • Wer darf wann singen? Bitte in der RACI-Matrix nachsehen.
  • Welche ‹Lessons Learned› aus früheren Opernprojekten sind übertragbar?
  • Risikomanagement: Was, wenn die Königin der Nacht plötzlich nur Alt singen kann?
  • Change-Request-Verfahren: Falls Tamino beschließt, Pamina doch nicht zu lieben – welcher Genehmigungsprozess wird ausgelöst?

Die ersten Kritiker murren, aber das PMO bleibt eisern: «Wir machen das professionell!»

Die Meistersinger – Ein Drama der überregulierten Prozesse

Die ‹Meistersinger von Nürnberg›, ohnehin ein Stück über Kreativität und Regeln, ist das ideale Pilotprojekt. Doch diesmal wird es ernst:

  • Singen nach Gehör? Verboten. Jedes Vibrato muss in der Checkliste erfasst werden.
  • Walther von Stolzing darf seine kreative Gesangsidee nur nach einem dreistufigen Approval-Prozess vorstellen.
  • Sachs’ spontane Eingebung? Nicht dokumentiert = nicht erlaubt.

Das Ergebnis: Die Oper dauert nicht mehr fünf, sondern zwölf Stunden. Nach jeder Arie: Quality-Gate-Prüfung. Reihe drei schläft tief und fest, aber das PMO jubelt: «Endlich Ordnung in der Kunst!»

Tristan & Isolde – Liebe mit Freigabeprozess

Tragische Leidenschaft war gestern. In der neuen Version von ‹Tristan & Isolde› gilt:

  • Bevor Tristan liebt, braucht es eine Romantik-Anforderungsanalyse.
  • Isolde stellt einen Change-Request für ihre Gefühle – das Steering Committee tagt in drei Wochen.
  • Am Ende stirbt das Paar nicht aus Liebe, sondern weil der Freigabeprozess fürs Gegengift zu lange dauerte.

Das Stück wird dennoch als Erfolg gefeiert: Keine Emotion blieb undokumentiert.

Nach fünf Aufführungen streng standardisierter Opern ist das Publikum verschwunden. Zu viele Prozesse, zu wenig Seele.

Aber das PMO ist zufrieden: Eine Root-Cause-Analysis wird erstellt, Review-Meeting inklusive. Das Fazit? «Der Fehler lag nicht an zu viel Standardisierung, sondern an nicht genügend Standardisierung.»

Fazit: Standardisierung? Ja, aber mit Taktgefühl

Natürlich: Regeln, Methoden, Standards – sie gehören ins Projektmanagement wie die Partitur in die Oper. Aber wenn jede kreative Abweichung als Störfall gilt, stirbt das, was Oper (und Projekte) lebendig macht: Gestaltungskraft, Flexibilität, Überraschung.